Leitmotiv

Back to the Future
Relikte, Spuren und andere Hinterlassenschaften

 

„Back to the Future“: Der steirische herbst blickt 2015 gleichzeitig intensiv zurück und nach vorne. Dass die Zukunft ohne eine profunde Analyse von Gegenwart und Vergangenheit gefährlich werden kann, wird in einer ganzen Reihe von Science-Fiction- und Zeitreise-Filmen wie „Metropolis“, „Terminator“ und der „Back to the Future“-Trilogie evident. Deren futuristische und utopische Filmästhetik hat unsere heutige Lebensrealität damals erschreckend genau getroffen. Allerdings heben wir mit unseren Autos heute nicht vom Boden ab, wie es US-Regisseur Robert Zemeckis 1985 voraussehen wollte. Vielmehr sind einstige Visionen einer als bedrohlich empfundenen Zukunft Bestandteil unseres Alltags geworden: die Beschleunigung aller Lebensbereiche, die gesellschaftlichen Entwicklungen, die durch Gewalt und Radikalisierungen aller Art gekennzeichnet sind. Oder auch Szenarien globaler Umweltkatastrophen, die uns in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts noch realitätsfern und übertrieben erschienen sind. Gemeinsam ist vielen dieser Filme der Zeitensprung von Menschen, die aus der Zukunft in die Vergangenheit reisen und in der Gegenwart die Weichen neu stellen, um die Zukunft positiv zu verändern.

 

Zeitreisen wie jene von Marty McFly (prognostizierte Landung in der Zukunft ist der 21. Oktober 2015) entspringen auch gegenwärtig noch einer vor uns liegenden, futuristischen Idee. Wer vorausschauen und -denken, sich gewissermaßen zukunftskompatibel machen und gleichzeitig das Erbe nicht zu einem sentimentalen Dispositiv verkommen lassen will, muss das Vergangene neu entdecken, das Alte genau studieren, sichten und kritisch befragen.

 

Der steirische herbst nimmt diese Überlegung spielerisch auf und beschäftigt sich auf vielfältige Weise mit dem Begriff des „Erbes“ – unsere Gegenwart ist die Zukunft von gestern. Dabei greifen wir nicht nur tief in die Retrowellen der Populärkultur hinein. Vielmehr sind aktuelle Diskussionen rund um ein – wie auch immer definiertes – gemeinsames kulturelles Erbe längst Teil eines Diskurses über die tradierten Wertvorstellungen der westlichen Gesellschaft im Dialog zu anders funktionierenden Gemeinschaften. Was erben wir und wie gehen wir damit um? Was archivieren wir und was geben wir an zukünftige Generationen weiter? Wovon müssen wir uns endgültig verabschieden? Nach welchen Kriterien setzen wir die Prioritäten für die Zukunft? Können wir in der zeitgenössischen Kunst an Kommunikationssystemen einer fernen Zukunft arbeiten?

 

Eine Verschiebung der demografischen Plattentektonik zeigt, dass wir uns diesen Thematiken dringend annehmen müssen. Zum einen werden wir immer älter, zum anderen ziehen wir mit unseren Arbeitsplätzen um. Ganz konkret und geopolitisch global wie lokal ist die Landflucht, der Zug einer jungen Generation in die Städte oder stadtnahe Zonen. Wie ist das rasante Bevölkerungswachstum zu bewältigen und wie werden Ortsbilder in 50 Jahren aussehen? Wie können Begriffe der Neunutzung, Redimensionierung oder Recycling gedeutet werden? Wird die Natur ihren ursprünglichen Raum wieder einfordern und wild wuchern? Wie sieht das ökologische Erbe jenseits der kurzfristig gedachten Profitmaximierung der Gegenwart aus? Wie gehen wir mit der Bürde von überlieferten materiellen und kulturellen Werten um? Und welche physischen Spuren werden wir hinterlassen?

 

Ausgehend von Fragen zu Besitztum und Kapital, Nachlass und Erblast, Wissenstransfer und dem Umgang mit kulturellem Erbe untersucht der steirische herbst mit dem Leitmotiv „Back to the Future“ verschiedene Positionen des Erbens und Weitergebens. Ambivalente Gedanken wie diese bilden den Ausgangspunkt für unterschiedlichste künstlerische Prozesse und spiegeln sich in mannigfaltiger Form im Programm des steirischen herbst 2015.